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07.08.2006

Embryonale Stammzellforschung - WELT Gastkommentar 

Eizellen als Handelsware

Die Entscheidung der EU-Forschungsminister zur weiteren Förderung der embryonalen Stammzellenforschung hat die Gegner der deutschen Stichtagsregelung erneut auf den Plan gerufen. In der deutschen wie auch der europäischen Öffentlichkeit wird der Konflikt wahrgenommen als der zwischen "Lebensschützern" und "Fortschrittsbefürwortern", der sich hauptsächlich an der Frage der Tötung von Embryonen entzündet.

 Es ist aber ein schwerwiegendes Versäumnis, dass die ethisch brisanten Fragen, woher die menschlichen Eizellen für die Forschung kommen und unter welchen Umständen sie gewonnen werden, bewusst ausgeblendet werden. Denn Eizellen fallen nicht vom Himmel - und werden nicht von den Hühnern gelegt.


Der Bedarf an menschlichen Eizellen für die Reproduktionsmedizin und die Embryonenforschung kann schon heute nicht gedeckt werden. Ian Wilmut, Vater des Klonschafes Dolly, musste zugeben, dass 400 Eizellen nicht ausreichen, um gute Stammzellenlinien zu produzieren. Der südkoreanische Scharlatan Hwang hat mehr als 1600 Eizellen verbraucht, ohne eine einzige Stammzellenlinie herzustellen, und hat eingeräumt, dass seine Mitarbeiterinnen Eizellen "spenden" mussten. Ein Fünftel seiner Eizellen-"Spenderinnen" musste stationär behandelt werden. Der hohe Bedarf an Eizellen ist kein Einzelfall, sondern Voraussetzung für die embryonale Stammzellenforschung.


Um die Nachfrage zu decken, ist es in Großbritannien möglich, Eizellen zu "teilen", ein Euphemismus für die Ausbeutung von Frauen in Notlagen und Armut. Reiche Paare zahlen anderen eine Behandlung und erhalten im Gegenzug Eizellen. In zahlreichen Fortpflanzungskliniken gibt es einen "Kostenrabatt", wenn Paare "überzählige" Eizellen oder Embryonen "spenden". Das von Fürsprechern der embryonalen Stammzellenforschung am häufigsten genutzte Argument, es gebe sowieso "überzählige" Embryonen, klingt zunächst plausibel. In der Realität aber sieht es anders aus. Gezielt werden Frauen überstimuliert mit bis zu 40 (!) Eizellen pro Zyklus. Weder werden sie über die Risiken einer Überstimulierung informiert, noch gibt es die Verpflichtung, Un- und Todesfälle zu dokumentieren. In England sind in den vergangenen drei Jahren zwei Frauen gestorben, aus den USA kommen zahlreiche Meldungen über Nebenwirkungen. Es verwundert nicht, dass sich embryonale Stammzellenforscher in der Nähe von In-vitro-Fertilisationszentren wie im spanischen Valencia niederlassen. Die gezielte Überproduktion von Embryonen - inzwischen schon als "überzählige Zellen" bezeichnet - und ihre scheinheilige, nützliche "Entsorgung" für die Forschung ist hanebüchen.


Sehr besorgniserregend ist auch der florierende Eizellen-Handel mit Osteuropa. So wurde erst im vergangenen Jahr öffentlich, dass es zwischen Rumänien und Großbritannien einen Handel gab, bei dem rumänischen Frauen für ihre "Spende" eine "Kompensation" in Höhe eines halben Jahresgehalts gezahlt wurde. Ein klarer Verstoß gegen die EU-Richtlinie zu Geweben und Zellen.


Durch die embryonale Stammzellenforschung wird das Grundprinzip der Nichtkommerzialisierung des menschlichen Körpers ausgehöhlt, werden Frauen ganz offen zu Rohstofflieferantinnen degradiert. Wenn embryonale Stammzellen jemals zur Therapie eingesetzt würden, würde der Bedarf an frischen Eizellen weiter steigen und der Anreiz zur Kommerzialisierung noch erhöht. Selbst wenn pro embryonale Stammzellenlinie eine Eizelle ausreichte, bräuchte es schon fünf Millionen Eizellen, um alle Diabetes-Kranken in Deutschland zu behandeln.


Es kann nicht Aufgabe der Forschung sein, für die Investition in das vermeintliche Allheilmittel embryonale Stammzellen die Gesundheit von Frauen so massiv aufs Spiel zu setzen und die Ausbeutung und Verdinglichung des menschlichen Körpers zu fördern. Vor allem nicht, wenn ethisch unproblematische und gesundheitlich ungefährliche Alternativen wie die adulte Stammzellenforschung und Stammzellen aus Nabelschnurblut zur Verfügung stehen und aussichtsreiche Erfolge aufweisen. Wenn in der EU stillschweigend geduldet wird, dass Eizellen als Rohstoffmaterial betrachtet werden, dass es Anreize gibt zur Produktion "überzähliger" Embryonen, die dann eine Art "Abfall" sind, dann ist Europa in eine ethische Schieflage geraten.

Die Autorin ist Abgeordnete des Europaparlaments (Bündnis 90/Die Grünen) und Vorsitzende der fraktionsübergreifenden EP-Bioethik-Intergruppe
Artikel erschienen am Mo, 7. August 2006 in der WELT